Sie galten als unheimlich. Von Dämonen besessen. Man hielt sie bis ins Mittelalter für bildungsunfähig, und die Kirche schloss sie lange Zeit von ihren Sakramenten aus. Taube und Stumme lösten bei der „normalen" Bevölkerung Ängste aus. Mit seltsamen Tränken und Mixturen oder mysteriösen Heilmitteln, wie der Hörpfanne oder dem Hörschlauch, wurde der Krankheit „Gehörlosigkeit" zu Leibe gerückt.
So erfand der amerikanische Arzt Powell 1920 ein Vibrationsgerät, mit dem über einen Schlauch Luft ins Ohr geblasen wurde. Diese Trommelfellmassage sollte Gehörlose heilen. Heute gibt es auf der ganzen Welt Schulen für Gehörlose - Irrationalität und Aberglaube haben medizinischer Aufklärung Platz gemacht. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Ein kleines privates Museum in Frankfurt, gegründet von der Frankfurter Stiftung für Gehörlose und Schwerhörige, dokumentiert rund zwei Jahrtausende Gehörlosengeschichte. Lothar Scharf, selbst hochgradig schwerhörig, hat in vielen Jahren die meisten Stücke der spannenden und in Teilen skurrilen Sammlung zusammengetragen. Anschaulich wird in einem Zeitbogen das Leben von Gehörlosen und Schwerhörigen dargestellt. Allen Hörenden bietet dieses in Deutschland einzigartige Museum einen Einblick in das komplexe Thema, Alltagsleben mit Hörbehinderung und ihre Auswirkungen. Den Studierenden ergibt sich die Möglichkeit vertiefender Forschung, den Schülern eine praktische Anschauung vom Leben mit Schwerhörigkeit oder Taubheit.
Informationstafeln geben Auskunft über Persönlichkeiten, die sich vehement für die Rechte von Gehörlosen eingesetzt haben und mit ihren Initiativen eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität erreichen wollten. So erfahren die Besucher, dass die erste Gehörlosenschule der Welt 1770 in Paris von dem französischen Geistlichen Charles Michel de l'Epee gegründet wurde. Fehlen darf auch nicht Eduard von Fürstenberg, der 1848 den ersten deutschen Taubstummenverein in Berlin gründete. Er veranstaltete 1873 den ersten Deutschen Taubstummenkongress und war Herausgeber der ersten deutschen Gehörlosenzeitschrift "Der Taubstummenfreund".
Angesicht der heutigen Hörsysteme, die sich als kleine Hochleistungscomputer präsentieren, kann man in Frankfurt die Hörgerätetechnik der früheren Generation bestaunen. Etwa den riesigen „Kopfschallfänger", der eher an die berühmten Mickey Mouse-Ohren als an ein Hörgerät denken lässt, oder die Breslauer Hörkapsel (ein nutzloser Ohrenstecker aus den 1920er Jahren, der Mitte der 1930er Jahre schließlich verboten wurde).
Ein besonderes Anliegen war dem Museum das Leben der Gehörlosen während des Nationalsozialismus. Zahlreiche Dokumente und Videoaufnahmen mit Zeitzeugen zeigen, dass Gehörlose sowohl den Nationalsozialisten nahestanden als auch vom Regime verfolgt wurden. Es gab 2.000 bis 3.000 gehörlose NSDAP-Mitglieder und in der Hitlerjugend wurde speziell für Hörgeschädigte der sogenannte „Bann G" gegründet. Das besonders Tragische: Gehörlose wurden, sofern ihre Gehörlosigkeit vererbbar war, unter den Nationalsozialisten zwangssterilisiert. Als doppelt minderwertig galten jüdische Gehörlose - von ehemals rund 1.000 Menschen überlebten nicht einmal 40!
Nach der Machtübernahme wurden - auf Anordnung des NS- Reichsverbandes der Gehörlosen Deutschlands - alle Juden aus der Gehörlosen-Gemeinschaft ausgeschlossen. „Deutsche gehörlose Mädchen, die mit Juden verkehren oder zusammenleben, werden ihre Artvergessenheit im Konzentrationslager zu büßen haben." Und in „Du und Dein Volk" heißt es: „Ihr dürft nur Kinder mit reinen Deutschen haben, um keine verbrecherischen oder behinderten Menschen in die Welt zu setzen." Die Nationalsozialisten hatten sich in ihren blanken Judenhass so hineingesteigert, dass beispielsweise die Samuel-Heinicke-Schule in Leipzig nur noch Heinicke-Schule genannt werden durfte. Der Vorname Samuel klang ihnen zu jüdisch. Dass Samuel Heinicke gar kein Jude war, spielte für sie offenbar keine Rolle.